
Der Uecker Nagel am KÖ Bogen © Lokalbüro
Ein Nachruf auf einen Künstler, der mit Nägeln malte, mit Licht sprach und mit seinem Werk Brücken zwischen Mensch, Geschichte und Hoffnung schlug.
Die Kunstwelt trauert um einen ihrer großen Namen: Günther Uecker ist im Alter von 95 Jahren in Düsseldorf gestorben. Der gebürtige Mecklenburger, international gefeierter Objektkünstler, Mitbegründer der legendären „Zero“-Gruppe und Schöpfer der berühmten Nagelreliefs, hat der Nachkriegsmoderne in Deutschland ein neues Gesicht gegeben – eines, das nie still war, sondern rhythmisch vibrierte.
„Günther Uecker war einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit“, würdigte Landtagspräsident André Kuper das Werk des Verstorbenen. „Er hat uns mit seinem Schaffen nicht nur Kunstwerke hinterlassen, sondern moralische Wegweiser für ein demokratisches Miteinander.“
Der Mann mit dem Nagel – und der Seele
Uecker wurde 1930 in Wendorf geboren und überlebte den Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher auf dramatische Weise: Als 16-Jähriger musste er an der Ostsee Leichen verscharren – Bilder, die seine spätere Kunst durchzogen wie kaum sichtbare Narben. Nach seiner Flucht aus der DDR fand er in Düsseldorf eine neue Heimat. Dort entwickelte er – zunächst in den Trümmern der Nachkriegszeit, später als Professor an der Kunstakademie – einen Stil, der radikal, emotional und zutiefst human war.
Der Nagel wurde dabei zu seinem stärksten Ausdrucksmittel. „Den Stahlstift zog er dem Bleistift vor“, schrieb man einmal über ihn. Tatsächlich war der Nagel für Uecker mehr als nur Material: Er war Werkzeug und Waffe, Sprache und Schmerz in einem. Seine Nagelreliefs, darunter das Werk „Interferenzen“ im nordrhein-westfälischen Landtag, sind weltberühmt. Präsident Kuper erinnerte daran, dass dieses Werk „allen Abgeordneten eine ständige Mahnung ist, Demokratie aktiv zu gestalten“.
Der Hammer als Pinsel, das Licht als Stimme
„Wo die Sprache versagt, beginnt das Bild“, lautete eine Maxime Ueckers. Seine Werke sind keine ruhigen Bilder, sie drängen, sie sprechen – manchmal laut, manchmal wie ein Flüstern im Wind. Selbst seine Klangobjekte, wie das verstörende „Terrororchester“ von 1968, oder seine späteren Wasserbilder in Himmelblau, waren immer ein Dialog: zwischen Mensch und Geschichte, zwischen Trauma und Hoffnung.
Ministerpräsident Hendrik Wüst betonte, Uecker habe „maßgeblich dazu beigetragen, das internationale Ansehen des Kulturlandes Nordrhein-Westfalen zu steigern“. Der Staatspreis des Landes, den er 2015 erhielt, war nur ein Zeichen dieser Anerkennung.
Poet, Philosoph, Tänzer
Uecker war weit mehr als „der mit den Nägeln“. Wer ihn auf dieses Stilmittel reduzierte, verfehlte den Menschen hinter dem Werk. Er war zugleich Zeichner, Bühnenbildner, Lehrer, Denker und ein zutiefst poetischer Mensch. Ein Mann, der Hafis-Gedichte illustrierte, Benefizaktionen initiierte, mit Kamel und Künstlerfreund Klaus Rinke in die Kunstakademie einzog – und der auch mit über 90 noch zu Kunstreisen nach Tadschikistan aufbrach.
„Mein Werk ist getrieben von einem tiefen melancholischen Gefühl eines an der Ostsee aufgewachsenen Mecklenburgers“, bekannte er einmal. Sein ganzes Schaffen, so scheint es, war ein einziger Versuch, Schmerz in Schönheit, Schweigen in Stimme zu verwandeln.
Abschied eines Weltkünstlers
Bis zuletzt war Günther Uecker präsent – körperlich geschwächt, aber mit ungebrochener Willenskraft. Im Rollstuhl, aber mit leuchtenden Augen zeigte er sich bei seiner letzten Ausstellung in Zentralasien als das, was er stets war: ein Kulturbotschafter, ein Wanderer zwischen Welten, ein Visionär mit Hammer und Herz.
„Selbst in der Erschöpfung wachsen einem Kräfte zu“, sagte er kurz vor seinem Tod. Nun ist der Mann, der Kunst mit Händen und Herz formte, gegangen. Seine Frau Christine, sein Sohn Jacob, seine Schwester Rotraud und viele Weggefährten trauern um ihn – und mit ihnen eine Welt, die ohne Uecker ärmer, aber dank seiner Werke bleibend inspiriert ist.
„Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht.“ – Günther Uecker lebte dieses Credo bis zuletzt. Und vielleicht liegt in dieser kraftvollen Widersprüchlichkeit die größte Wahrheit seiner Kunst.