Juri Andrucho­wytsch mit dem Heine- Preis 2022 ausgezeichnet,©Landeshauptstadt Düsseldorf/Melanie Zanin

 

Der ukrai­ni­sche Lyri­ker, Schrift­stel­ler und Über­set­zer wurde im Rah­men eines Fest­ak­tes im Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus am Sams­tag, 10. Dezem­ber, mit dem Lite­ra­tur- und Per­sön­lich­keits­preis geehrt

Der ukrai­ni­sche Lyri­ker, Schrift­stel­ler und Über­set­zer Juri Andrucho­wytsch wurde am Sams­tag, 10. Dezem­ber, im Rah­men eines Fest­ak­tes im Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus mit dem Heine-Preis 2022 der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf aus­ge­zeich­net. Der Preis wird tra­di­tio­nell rund um Hein­rich Hei­nes Geburts­tag (13. Dezem­ber) über­reicht. Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Ste­phan Kel­ler nahm die Ehrung vor. Die Lau­da­tio hielt Jaros­lav Rudiš.

Juri Andrucho­wytsch: “Von allen Reli­gio­nen die­ser zwei­fel­haf­ten Welt ist nur die Frei­heit unbe­zwei­fel­bar und behält bis heute ihren her­aus­ra­gen­den Sinn vor dem Hin­ter­grund der sich unauf­hör­lich aus­brei­ten­den Duck­mäu­se­rei, des tech­no­lo­gi­schen Rela­ti­vis­mus und des Fakens der Wirklichkeit.”

Lau­da­tor Jaros­lav Rudiš: “Nicht nur Liebe und Wahr­heit, son­dern auch Humor kann den Tod und die Lüge besie­gen. Humor bedeu­tet Anar­chie und vor allem Frei­heit. Des­halb wird er von den Dik­ta­to­ren die­ser Welt, von Leu­ten wie Putin, gehasst. Des­halb brau­chen wir auch deine Bücher und dei­nen Humor. Humor kann eine Waffe sein. Gegen die Dik­ta­to­ren und gegen die mensch­li­che Dumm­heit. So blei­ben deine Hel­den, trotz einer gewis­sen Unruhe und Melan­cho­lie, auf­recht und guter Dinge. Obwohl ihnen bewusst ist, dass wir alle in und auf Rui­nen leben und dass zu unse­rem Mit­tel­eu­ropa nicht nur die schö­nen Städte gehö­ren, son­dern auch Fol­ter in ihren Kel­lern, Säu­be­run­gen, Depor­ta­tio­nen, Vetrei­bun­gen und Tod, sehr viel Tod. Deine Hel­den leben zwi­schen ges­tern und mor­gen, ein­ge­klemmt zwi­schen der düs­te­ren Ver­gan­gen­heit von Mit­tel­eu­ropa und der unsi­che­ren Zukunft. Viel­leicht gerade des­halb sind sie so frei und lie­ben sich wild und schwö­ren auf die Musik. Sie sind glück­lich auf die­sem schma­len Strei­fen, den wir das Heute oder die Gegen­wart nennen.”

Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Ste­phan Kel­ler: “Mit Juri Andrucho­wytsch ehrt die Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf einen der füh­ren­den Schrift­stel­ler und Intel­lek­tu­el­len der post­so­wje­ti­schen Ukraine. Mit sei­nen facet­ten­rei­chen Wer­ken posi­tio­niert sich Juri Andrucho­wytsch als kri­ti­scher Beob­ach­ter immer wie­der auch gesell­schafts­po­li­tisch. Sein von der Über­zeu­gung für den euro­päi­schen Gedan­ken getra­ge­nes vor­bild­haf­tes Ein­tre­ten für Frei­heit und Men­schen­rechte in der Ukraine ist – ins­be­son­dere in die­sen Zei­ten – wich­ti­ger denn je.”

Bereits am Frei­tag, 9. Dezem­ber, hatte sich Juri Andrucho­wytsch im Düs­sel­dor­fer Rat­haus in das Gol­dene Buch der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf ein­ge­tra­gen. Zuvor besuchte er im Rah­men eines Pres­se­ge­sprächs das Hein­rich-Heine-Insti­tut. Das Hein­rich-Heine-Insti­tut ist ein Zen­trum der inter­na­tio­na­len Heine-For­schung und prä­sen­tiert die welt­weit ein­zige Dau­er­aus­stel­lung zum Leben und Werk des Dich­ters. Wei­tere Infos hierzu unter https://www.duesseldorf.de/medienportal/pressedienst-einzelansicht/pld/juri-andruchowytsch-besucht-das-heinrich-heine-institut.html.

Begrün­dung der Heine-Preis-Jury Die Heine-Preis-Jury begrün­dete ihr Votum wie folgt: “Den Heine-Preis der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf 2022 erhält Juri Andrucho­wytsch. Andrucho­wytsch, einer der füh­ren­den ukrai­ni­schen Roman­ciers, Lyri­ker und Essay­is­ten unse­rer Zeit, schreibt über die Lage des Indi­vi­du­ums in der mit­tel­eu­ro­päi­schen Geschichte und Gegen­wart. Dabei übt er scharfe Kri­tik an Über­grif­fen von Geheim­diens­ten, Mili­tär und Jus­tiz. Der Sinn für Iro­nie und das Gro­teske kenn­zeich­nen sein Werk in bes­ter Hei­ne­scher Tra­di­tion. Dabei spielt er mit lite­ra­ri­schen For­men und über­schrei­tet die Gren­zen zwi­schen Rea­li­tät und Fan­ta­sie. Juri Andrucho­wytsch setzt sich lei­den­schaft­lich für den euro­päi­schen Gedan­ken ein und ver­tritt die Iden­ti­tät der Ukraine als Kul­tur­na­tion. Er erin­nert Europa daran, dass Frei­heit und Men­schen­rechte in der Ukraine in vor­ders­ter Linie ver­tei­digt werden.”

Preis­trä­ger Juri Andrucho­wytsch – Kurz­vita Juri Andrucho­wytsch wurde am 13. März 1960 in Sta­nys­la­wiw (Sta­nis­lau; seit 1962 umbe­nannt in Iwano-Fran­kiwsk) in der West­ukraine gebo­ren. Das Jour­na­lis­mus-Stu­dium am Lem­ber­ger Poly­gra­phi­schen Insti­tut schloss er 1982 ab und leis­tete von 1983 bis 1984 sei­nen Wehr­dienst. Von 1989 bis 1991 besuchte er Lite­ra­tur­kurse am Maxim-Gorki-Insti­tut in Mos­kau und legte 1994 seine Dis­ser­ta­tion über den ukrai­ni­schen Natio­nal­dich­ter Boh­dan-Ihor Ant­onytsch vor.

Juri Andrucho­wytsch gilt als einer der wich­tigs­ten Schrift­stel­ler und Intel­lek­tu­el­len der post­so­wje­ti­schen Ukraine, der mit sei­nen inter­na­tio­nal publi­zier­ten Wer­ken der ukrai­ni­schen Spra­che eine neue, moderne Qua­li­tät ver­lieh und sich mit sei­nen Bei­trä­gen und Aktio­nen auch gesell­schafts­po­li­tisch positionierte.

Erste Gedichte ver­öf­fent­lichte er bereits 1982 in Lite­ra­tur­zeit­schrif­ten und arbei­tete zunächst als Dru­cker für ver­schie­dene Zei­tun­gen sowie von 1991 bis 1996 als Redak­teur der Zeit­schrift “Tschet­wer” (Don­ners­tag). Mit Wik­tor Nebo­rak und Olek­san­der Irwa­nez grün­dete er in Lem­berg (Lwiw) die lite­ra­ri­sche Per­for­mance-Gruppe “Bu-Ba-Bu”, die für Bur­leske, Balagan (Rum­mel) und Buf­fonade (Pos­sen­rei­ßer) stand und bis 1992 das sozia­lis­ti­sche Regime mit sati­ri­schen, laut­poe­ti­schen und kar­ne­val­esken Gedicht-Expe­ri­men­ten kritisierte.

Bekannt wurde Juri Andrucho­wytsch auch für seine Essays, mit denen er sich als kri­ti­scher Beob­ach­ter zu Wort mel­dete. So beschrieb er im 2003 auf Deutsch erschie­ne­nen Band “Das letzte Ter­ri­to­rium” mit kri­tisch-iro­ni­schem Blick die post­so­wje­ti­sche Rea­li­tät der Ukraine und machte unter ande­rem die repres­sive Medi­en­po­li­tik der Regie­rung, den Exodus der Bevöl­ke­rung in den Wes­ten und die ambi­va­lente Exis­tenz von Künst­lern zum Gegen­stand sei­ner Reflexionen.

Seit dem Ende der Sowjet­union und vor allem wäh­rend der “oran­ge­nen Revo­lu­tion” posi­tio­nierte sich Juri Andrucho­wytsch als ent­schie­de­ner Befür­wor­ter einer Anbin­dung der Ukraine an Europa. Dabei beklagte er immer wie­der die man­gelnde Unter­stüt­zung von­sei­ten Euro­pas – gleich­zei­tig sparte er nicht mit Kri­tik an der ukrai­ni­schen Poli­tik, ins­be­son­dere am Anti-Euro­pa­kurs des frü­he­ren Prä­si­den­ten und Gefolgs­manns des rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin, Wik­tor Janu­ko­wytsch. Unter dem Ein­druck der Anne­xion der Krim durch Russ­land im März 2014 und des blu­ti­gen Bür­ger­kriegs zwi­schen Regie­rungs­trup­pen und pro­rus­si­schen Sepa­ra­tis­ten im Don­bas gab Juri Andrucho­wytsch noch 2014 den Sam­mel­band “Euro­mai­dan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht” her­aus, in dem ukrai­ni­sche Intel­lek­tu­elle die Gescheh­nisse und unsi­che­ren Per­spek­ti­ven des Lan­des zwi­schen Ost und West kommentierten.

Auch als Über­set­zer deut­scher, pol­ni­scher, rus­si­scher und eng­li­scher Lite­ra­tur tritt Juri Andrucho­wytsch in Erschei­nung. Unter ande­rem über­setzte er Gedichte von Rai­ner Maria Rilke, Prosa von Robert Wal­ser und Boris L. Pas­ter­nak oder Shake­speares “Ham­let” und “Romeo und Julia” ins Ukrai­ni­sche. Eine enge Ver­bin­dung zu Deutsch­land ent­stand im Rah­men meh­re­rer Stu­di­en­auf­ent­halte, unter ande­rem 1992 und 2001 im Künst­ler­haus Alberta bei Mün­chen sowie 2005 beim Künst­ler­pro­gramm des DAAD in Ber­lin. 2014 über­nahm er die Sieg­fried-Unseld-Pro­fes­sur für Sla­wis­tik und mit­tel­eu­ro­päi­sche Lite­ra­tur an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin. Seit 2006 ist er zudem kor­re­spon­die­ren­des Mit­glied der Deut­schen Aka­de­mie für Spra­che und Dichtung.

Für sein Schaf­fen wurde Juri Andrucho­wytsch bereits mehr­fach aus­ge­zeich­net. So wurde ihm unter ande­rem 2001 der Her­der-Preis der Alfred-Toep­fer-Stif­tung ver­lie­hen, 2005 erhielt er den Son­der­preis des Erich-Maria-Remar­que-Frie­dens­prei­ses der Stadt Osna­brück, und 2006 wurde er mit dem Leip­zi­ger Buch­preis zur Euro­päi­schen Ver­stän­di­gung aus­ge­zeich­net. Im glei­chen Jahr folgte der Mit­tel­eu­ro­päi­sche Lite­ra­tur­preis Ange­lus der pol­ni­schen Stadt Wro­claw. 2014 erhielt Juri Andrucho­wytsch den Han­nah-Are­ndt-Preis für poli­ti­sches Den­ken und im Jahr 2016 die Goe­the-Medaille des Goethe-Instituts.

Unter ande­rem sind fol­gende Werke von Juri Andrucho­wytsch erschie­nen: “Nebo i ploscht­schi” (1985), “Lysty v Ukrainu” (1993), “Wer­wolf Sutra” (2009), “Sliva, de sertse” (1989), “Sami­jlo z Nemy­rova, pre­kras­nyj roz­byschaka” (1991), “Des­o­ri­jen­ta­zija na misze­wosti” (1999; deutsch 2003, “Das letzte Ter­ri­to­rium”), “Moja Europa” (2000), “Rekrea­ziji” (1992; deutsch 2019, “Kar­pa­ten­kar­ne­val”), “Dva­nad­cat’ obrut­schiw” (2003; deutsch 2005, “Zwölf Ringe”), “Kochanci Jus­ti­ciji” (2017; deutsch 2020, “Die Lieb­linge der Jus­tiz. Para­his­to­ri­scher Roman in acht­ein­halb Kapi­teln”) sowie “Radio Nacht” (2022).

Heine-Preis — bis­he­rige Preis­trä­ger und Jury Der Heine-Preis zählt zu den bedeu­tends­ten Lite­ra­tur- und Per­sön­lich­keits­prei­sen in Deutsch­land und wird seit 1972 ver­lie­hen; er ist mit 50.000 Euro dotiert. Der Preis wird durch die vom Rat der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf ein­ge­setzte Jury “an Per­sön­lich­kei­ten ver­lie­hen, die durch ihr geis­ti­ges Schaf­fen im Sinne der Grund­rechte des Men­schen, für die sich Hein­rich Heine ein­ge­setzt hat, den sozia­len und poli­ti­schen Fort­schritt för­dern, der Völ­ker­ver­stän­di­gung die­nen oder die Erkennt­nis von der Zusam­men­ge­hö­rig­keit aller Men­schen verbreiten”.

Der Preis, den Düs­sel­dorf als Vater­stadt zu Ehren des 1797 gebo­re­nen Hein­rich Heine gestif­tet hat, wird zum 22. Mal ver­ge­ben. Bis­he­rige Heine-Preis­trä­ger sind: Carl Zuck­mayer (1972), Pierre Ber­taux (1975), Sebas­tian Haff­ner (1978), Wal­ter Jens (1981), Carl Fried­rich von Weiz­sä­cker (1983), Gün­ter Kun­ert (1985), Marion Grä­fin Dön­hoff (1988), Max Frisch (1989), Richard von Weiz­sä­cker (1991), Wolf Bier­mann (1993), Wla­dys­law Bar­to­szew­ski (1996), Hans Magnus Enzens­ber­ger (1998), W.G. Sebald (2000), Elfriede Jeli­nek (2002), Robert Gern­hardt (2004), Amos Oz (2008), Simone Veil (2010), Jür­gen Haber­mas (2012), Alex­an­der Kluge (2014), A. L. Ken­nedy (2016), Prof. Dr. Leo­luca Orlando (2018) und Rachel Sala­man­der (2020).

Der Heine-Preis-Jury 2022 gehör­ten an als Ver­tre­ter der Lan­des­haupt­stadt Düs­sel­dorf: Dr. Ste­phan Kel­ler (Oberbürgermeister/Vorsitzender der Jury), Miriam Koch (Dezer­nen­tin für Kul­tur und Inte­gra­tion), Dr. Sabine Bren­ner-Wilc­zek (Direk­to­rin des Hein­rich-Heine-Insti­tuts), als Ver­tre­ter der Frak­tio­nen: Dr. Susanne Schwa­bach-Albrecht (CDU), Bür­ger­meis­te­rin Klau­dia Zep­untke (SPD), Dr. Vero­nika Düb­gen (FDP), Karin Trepke (Bünd­nis 90/Die Grü­nen), Dr. Luzia Vor­spel (Die Linke), Ste­fan Job (Die PAR­TEI-Klima-Frak­tion), als Fach­ju­ro­ren: Dr. Traudl Bün­ger, Rein­hard Goren­flos, Dr. Wolf­gang Traut­wein, Dr. Sabine Bier­wirth, Prof. Dr. Anne Boh­nen­kamp-Ren­ken, Jo Lendle,

als ent­sandte Mit­glie­der: Prof. Dr. Anja Stein­beck (Rek­to­rin der Hein­rich-Heine-Uni­ver­si­tät), Felix Droste (Ver­le­ger, 1. Vor­sit­zen­der der Heine-Gesell­schaft). Hin­weis: Die Jury-Mit­glie­der Dr. Sabine Bren­ner-Wilc­zek, Prof. Dr. Anja Stein­beck, Jo Lendle und Felix Droste waren ter­min­lich ver­hin­dert und konn­ten an der Sit­zung nicht teilnehmen.